Kleine dunkelrote Holzkiste
100 Wortkarten zum 20.Jahrhundert
Die in kleiner Auflage gedruckte Edition war bereits kurz nach dem Erscheinen vergriffen.
Preis: 30 Euro
Eine prominent besetzte Jury wählte die hundert Wörter aus, die das 20. Jahrhundert prägten, von Atombombe und Bikini bis zu Weltkrieg und Wolkenkratzer. Die Officina Ludi gestaltete (in Gemeinschaftsarbeit mit anderen namhaften Handpressen und dem Hamburger Museum der Arbeit) jedes einzelne dieser Wörter unter bewusstem Verzicht auf graphische Mittel ausschließlich mit den Mitteln des Buchdrucks und der Typographie.
Ein Abenteuer im Kopf (nicht nur) für die Zeit «zwischen den Jahren»
Von Ulrich Kurzer
Wenn Kulturpreise öffentlich verkündet und vergeben werden, so steckt dahinter meistens eine Jury, der dann meistens auch namhafte Männer und manchmal auch namhafte Frauen
angehören. Auch für die Aufgabe, dem 20. Jahrhundert durch Wörter Ausdruck zu verleihen, bediente sich die «Kulturzeit» des Fernsehsenders 3sat solch einer Jury prominenter Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die «100 Wörter des Jahrhunderts» auswählte. Als Inhalt einer kleinen dunkelroten Holzkiste kann nun, auf Postkartengröße gebracht, die bildliche und allein mit den Mitteln der Buchdruckerkunst bewerkstelligte Umsetzung dieses Projekts in Augenschein genommen werden, das durch die kreative graphische Darstellung der einzelnen Wortbedeutungen besticht
Was auf den ersten Eindruck vielleicht ein wenig strapaziert klingen mag, weil es an unsere ständigen Begleiter aller nur denkbaren «Hit oder Bestsellerlisten» erinnert, birgt einiges an Überraschungen, wenn man sich darauf einlässt, die Bedeutung der Wörter in den ungewöhnlich umgesetzten Bildern zu erfassen. Es ist allerdings weniger ein «Spiel auf hohem Niveau», als das es von der Büchergilde Gutenberg in ihrem Programm «Die schönen Dinge» angekündigt wird. Es eignet sich viel besser zur geruhsamen Betrachtung. Kerzenlicht und ein Glas guter Rotwein sollten vielleicht nicht fehlen. Diese Typographien sind gerade nach den meist doch recht hektischen Weihnachtstagen eine Möglichkeit, «Besinnung» walten zu lassen, sofern man nach der ganzen Völlerei noch in der Lage ist, sich ohne schlechtes Gewiesen gemütlich in den Ohrensessel zu setzen oder auf das Sofa zurückzuziehen, anstatt durch den Stadtwald zu «joggen». Da Anglizismen von der Jury möglichst nicht ausgewählt werden sollten, sucht man dieses Wort denn auch vergeblich. Hier soll keinesfalls «gebeckmessert» werden.
Die Frage danach, inwieweit die Darstellung der Wörter gelungen ist oder nicht – wie
Kreditkarte oder Planwirtschaft – ist eine sehr subjektive. Ebenso wie die nach den Wörtern, die fehlen: Vernichtungskrieg, Wahlen, Elektrizität Hunger und Armut. Glücklicherweise ist niemand in der Jury dem Gedanken an den «Totalitarismus» verfallen. Einiges ist einfach genial umgesetzt, so etwa Reißverschluss, Flugzeug, Säuberung, Wolkenkratzer und Wiedervereinigung. Eine sehr männliche Sicht auf die schönen Dinge des Lebens offenbaren die Karten vom Sex und Bikini. Mehr aber sei an dieser Stelle nicht verraten, und gleiches gilt für die restlichen einundneunzig Wörter.
«Die Welt sehen, heißt sie buchstabieren» – dieses die Sammlung begleitende Zitat von Octavio Paz trifft den Sachverhalt präzise. Die meisten Karten erschließen sich erst nach dieser «Mühsal» und erinnern dabei an die oft noch ungelenken, aber lernbegierigen Versuche von Kindern, die über das Erlernen des Alphabets einen neuen Zugang zur Welt zu finden suchen. (Neues Deutschland, 1.12.2000)
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