Grafik im Mai: Klaus Süß – Am Tisch

 

Original-Holzschnitt, Format 30 x 90 cm, Auflage 5 Exemplare, signiert und nummeriert

Preis: 220 Euro

 

Seit 25 Jahren arbeiten der 1951 in Crottendorf/Erzgebirge geborene Künstler und die Büchergilde zusammen. Neben einer Buchillustration (Prosper Mérimée – Carmen) und einem Druck der Gutenberg Presse (H. C. Andersen – Des Kaisers neue Kleider) – mit 11 Aquarellen auf Klischeedrucken, haben wir immer wieder neue grafische Arbeiten des in Chemnitz lebenden Künstlers vorgestellt. Diese Arbeit schreit geradezu nach einem Platz über der Tür …

„Paarspannung!

Salopp könnte man sagen, dass Klaus Süß‘ Bilder da anfangen, wo der Hollywood-Film aufhört: Wenn sich zwei nach vielem Hin und Her gekriegt und die Hochzeitsglocken zum „schönsten Tag im Leben“ geläutet haben, kommt dort nur noch der Abspann – und Süß‘ Vorhang hebt sich, um den Blick freizugeben auf die nun folgenden Paarspannungen…

Es ist dies das Künstlerlebensthema von Klaus Süß, der immer neue Facetten dieser Spannung aufdeckt, immer neue Metaphern findet: von den beiden, die im Boot Rücken an Rücken sitzen und kräftig in die entgegengesetzte Richtung rudern, mal König/in, mal Narr oder Närrin sind, mal Sisyphos und mal der Stein. Man sieht zwei am Tisch, auf hoher See, am Auseinandergehen, im Paradies, in der Arena, auf der Bühne. Oder, eine ganz neue Arbeit, sie stecken zusammen hinter einem gemeinsamen Mund-Nasen-Schutz. Sie verletzen, sie verbinden, sie verbünden sich. Sie sehen sich verwundert an. Sie sehen sich an.

Zu diesem Gegenteil eindeutiger Idylle passt die durch den Widerstand des Materials beim Holzschnitt geprägte Bildsprache des Künstlers: Die meist weit ausgestreckten Finger sind spitze Stacheln, Waffen, die verletzen können, aber im Bewusstsein dieser Gefahr bei zärtlichem Gebrauch auch ganz besonders berührend sind. „Liebst du mich nicht, bin ich entflammt, und wenn ich lieb, nimm dich in Acht!“ heißt es in Bizets Oper Carmen, und es ist kein Zufall, dass Klaus Süß gerade diesen Stoff, die der Oper zugrunde liegende Novelle von Prosper Merimée, 2001 für die Büchergilde illustriert hat. Nur ein Jahr später eröffnete der Verlag Faber & Faber mit Süß‘ Bildern des Beziehungsrüpels Baal von Bertolt Brecht seine legendäre Buchreihe „Graphische Bücher – Erstlingswerke deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts“. Und als die burgart presse 10 Künstler zur originalgrafischen Illustration der zehn Gebote lud, betraute sie Klaus Süß natürlich mit dem 10., in dem angemahnt wird, des Nächsten Weib nicht zu begehren – den Bildtitel „Versuchung“ gibt es mehr als einmal in Süß‘ Werk.
Paarspannung verströmen oft selbst die einzeln portraitierten Figuren, Einsamkeit und Trauer wegen des Fehlens einer Partnerschaft, die Tristesse der Verlassenen, aber auch die Show, die einer und eine machen, um gesehen, um genommen zu werden. Da wird getrommelt, balanciert, der eigene Körper präsentiert. Und dann heißt der Bildtitel eines in Grautönen gemalten Acrylbildes einer ersten vorsichtigen Berührung: „Wie wird das enden?“ Gleich daneben sitzen zwei in einem Boot, und das Bild heißt: „Manche Seefahrt ist nicht lustig“. „Komm, spiel mit mir“ fordert der Titel eines Linolschnitts von 1989, auf dem ein Mensch gerade in die Badewanne steigt. (Ein paar Jahre später gab es eine ganze Grafikmappe mit diesem Titel.)

Paarbildung entsteht eben auch zwischen dem Betrachter, der Betrachterin und der Einzelfigur im Bild. Das ist ein unterschätztes Phänomen. So wie wir bei der ersten Begegnung mit einem fremden Menschen nach einem Wimpernschlag wissen, ob er uns sympathisch ist, so checken wir auch das bildnerische Gegenüber: entsteht Spannung? Ist sie positiv aufgeladen oder stößt sie einen ab? Bei Süß‘ Figuration gibt es kein „vielleicht“. Seine Figuren erzwingen in der Regel klare Positionierung.

Künstler-Lebensläufe wie den von Klaus Süß gibt es heute nicht mehr, zu deren Genesis fehlt – die DDR, so absurd das auf den ersten Blick erscheinen mag. Während in Westdeutschland sich absolut jeder Mensch ein Schild mit der Aufschrift „Ich bin Künstler“ an die Haustür nageln konnte, wofür sich dann in der Regel niemand groß interessierte, hätte der gleiche Vorgang in der DDR die Straf-verfolger von der Kette gelassen – Vagabundentum wurde der Straftatbestand des freischaffenden Kunstproduzierens ohne Verbandslizenz genannt.

Was einerseits eine totalitäre Einschränkung menschlicher Freiheit durch einen vom Kontrollwahn durchängstigten Staat war, lud andererseits Kunst in diesem Staat immer mit Bedeutung auf: Der Staat nahm seine Künstler (bitter-)ernst. Wer also wie Klaus Süß von Jugend an den Kunstwillen in sich spürte und sich nicht durch das Nadelöhr „Zulassung“ zu einem von oft nur fünf Studienplätzen pro Semester an der Kunsthochschule zwängen wollte oder konnte, der musste sich entweder mit einem Dasein als „Volkskünstler“ neben der eigentlichen Berufstätigkeit abfinden oder sehr zäh einen Weg für sich finden, um auch ohne die akademischen Weihen in den Künstlerverband aufgenommen zu werden.

Man mag einwenden, dass es solche erfolgreichen Künstlerviten abseits von Hochschul-Adelung auch in Westdeutschland gab oder heute gibt. Der Unterschied ist, dass es der DDR-Künstler nicht selbst in der Hand hatte und ggfs., wie A.R. Penck, mit staatlichen Repressionen rechnen musste. Klaus Süß begann seinen Weg in die Kunst mit einer Ausbildung in einem „ordentlichen Beruf“ als Heizungsmonteur, der ein Ingenieurstudium folgte. Als solcher war er u.a. für die Frischluftzufuhr in den Uranbergwerken von Wismut/Aue zuständig. 1978 wechselte er ins Kultursekretariat der Karl-Marx-Städter „Fritz Heckert Werke“, wo er betriebliche Zirkel für Malen, Grafik und Plastik zu organisieren hatte. So konnte er sich seine Lehrer – Künstler, die die Werksangehörigen nach Feierabend unterrichteten – selbst aussuchen.

Seine künstlerische Arbeit hatte er immer weiter betrieben, und mit der ihm eigenen unbedingten Energie schaffte er es 1984, als „Kandidat“ in den Verband Bildender Künstler der DDR aufgenommen zu werden, sodass er ab 1986 auch offiziell als freischaffender Künstler arbeiten konnte. Bereits 1987 hatte Süß seine erste Einzelaus-stellung – in der vom Staat misstrauisch beäugten Leipziger Produzentengalerie Eigen+Art von Judy Lybke, die ja inzwischen wahrlich weltberühmt ist. Zum Zeitpunkt des Mauerfalls 38 Jahre alt, gehörte Süß zu den wenigen damals jungen ostdeutschen Künstlern, die sich schnell auch auf dem westdeutschen Markt durchsetzen konnten.

Zwei gravierende Innovationen verdankt die Kunst Klaus Süß: Zum einen machte er aus der Not in der DDR, die nur eine Sorte Holzdruckfarbe kannte, die wegen hohem Ölanteil stark glänzte, eine Tugend, indem er, um die Farben stumpf zu bekommen, ein Verfahren entwickelte, das zu einer in der Druckgrafik bis dahin nicht bekannten Haptik und Lebendigkeit der Oberflächen führte. Zum an-deren entdeckte er die große ästhetische Strahlkraft von Holz-Druckstöcken, wenn sie quasi als Bildträger für Malerei genutzt werden. Etliche dieser wunderbar charismatischen Kunstwerke zeigt unsere Ausstellung.

Manche von Ihnen verfolgen ja unsere kontinuierliche Begleitung des Künstlers durch zahlreiche Ausstellungen tatsächlich seit dem Fall der Mauer. Um aber all jenen einen Einstieg zu ermöglichen, die mit Süß‘ Werk noch nicht vertraut sind und auch jetzt pandemiebedingt nicht zu dieser, in aller Bescheidenheit gesagt: sehr sehenswerten Ausstellung anreisen können, haben wir dem Künstler vorgeschlagen, eine „Einsteigermappe“ aufzulegen: 3 kleine Farbholzschnitte, mindestens einer davon mit der oben erwähnten Oberflächenhaptik, sowie eine kleine Broschüre „Klaus Süß – Grafik“, in der auch Süß‘ bevorzugte Farbholzschnitttechnik, die von Picasso entwickelte „Verlorene Form“ anhand von Zustandsdrucken verständlich gemacht wird. Wer die Mappe zu Geschenkzwecken an drei glückliche Grafikbesitzer/innen in spe auflösen will, kann auch 3 dieser Broschüren bekommen.“ (Frankfurter Grafikbrief)

https://www.grafikbrief.de/kuenstler/kuenstler.php?num=7